427. Who will do it? / Wer vollbringt’s?

A young man, a wholesaler by trade, once walked the bumpy road from Nesslau to Amden. At the top of the pass he stopped for a short rest and refreshed himself with a snack. Suddenly he saw a maid between two young trees, her face covered with a white cloth. She was sobbing loudly. Anxiety and deepest pity for this suffering human being pervaded his mind. Had she lost her way in this wilderness, or had some other accident befallen her? He approached the afflicted woman and inquired about the cause of her appearance. Now he heard that her unhappy soul had been banished to this place for centuries, that she had to appear here every hundred years at the place of her misdeed until a lucky coincidence would redeem her. That time had just come again.

The young woman implored him to stand by her. Tomorrow she would no longer appear to him in her present form, and if he had the courage to kiss her, her soul would find peace and he would become a rich man and could return home with the wonderful treasures. The lad promised her that he would do everything possible for her salvation. He spent the night in a neighbouring alpine hut without opening his heart. His mind, lusting after promised treasures, soon engulfed him in the magic realm of dreams, from which he awoke for the first time when the dazzling disc of the sun rose between Hinterruck and Schafberg and urged him to set out. He went out to the appointed place.

Soon he heard something rustling in the scraggy foliage. It was a snake, its eyes glittering, licking and hissing at him. He dreaded the moment when he was supposed to touch the animal. The precious moment passed and the snake disappeared with a sigh. It was probably the lamentation of the maiden. But before long, an ugly toad appeared. He picked it up from the ground, but it became so heavy that he had to drop it.

He knelt down to it. But the blood in his veins froze when the monster opened its great mouth and he looked into a veritable hellish mouth, from which a thousand flashes of lightning spat at him. The toad also disappeared, and before him stood a slender little man on slender goat’s feet, with horns and taloned hands. The man from Resslau was frightened and fled.

Soon 100 years have passed since then. So the maiden will return soon. Who wants to go up and redeem her?

427. Wer vollbringt’s?

Ein jüngerer Mann, Biehhändler von Beruf, ging einst den holperigen Weg von Nesslau nach Amden hinüber. Auf der Passhöhe machte we eine kurze Rast und erquickte sich durch einen Imbiss. Plötzlich gewahrte er zwischen zwei jungen Tännchen eine Jungfrau, deren Antliss mit einem weissen Tüchlein verhüllt war. Sie schluchzte laut. Bange Beforgnis und innigstes Mitleid für dies leidende menschliche Wesen durchzog sein Gemüt. Hatte es sich in dieser Wildnis verirrt, oder war ihm sonst ein Unfall zugestossen? Er näherte sich der Betrüben und erkundigte sich nach der Ursache ihres Erscheinens. Nun vernahm er, eine unglückliche Seele sei schon seit Jahrhunderten an diese Stelle gebannt, müsse alle hundert Jahre hier am Orte ihrer Missetat erscheinen, bis ein glücklicher Zufall sie erlösen würde. Dieser Zeitpunkt war eben jetzt wieder gekommen.

Die Jungfrau bat ihn flehentlich, er soll ihr beistehen. Morgen werde sie ihm nicht mehr in ihrer jetzigen Gestalt erscheinen, und wenn er den Mut habem sie zu küssen, so würde ihre Seele Frieden finden ; er aber würde ein reicher Mann und könnte mit den herrlichen Schätzen heimkehren. Der Mann versprach ihr, er werde das Möglichste zu ihrer Erlösung tun. In einer benachbarien Sennhütte verbrachte er die Nach, ohne dem Sennen sein Herz zu eröffnen. Sein nach verheissenen Schätzen lüsterner Sinn versesste ihn bald ins Zauberreich der Träume, aus denen er ersterwachte, als die blendende Sonnenscheibe sich zwischen hinterruck und Schafberg erhob und ihn zum Aufbruch mahnte. Er ging hinaus an den bestimmten Ort.

Bald hörte er im dürren Laube etwas rascheln. Es war eine Schlange, die ihn mit funkelnden Augen und nach ihm züngelte und zischte. Ihm graute, als er das Tier füssen sollte. Darüber verstrich der kostbare Augenblick ; die Schlange verschwand mit einmen Seufzer. Es war wohl der Klageruf der Jungfrau. Aber nicht lange ging s, so erschien eine hässliche Kröte. Er hob sie vom Boden auf : aber sie wurde so schwer, dass er sie fallen lassen musste.

Er kniete nieder, um sie zu fussen. Aber das Blut in den Adern erstarrte ihm, als das Ungeheuer sein grosses Maul öffnete und er in einen wahren Höllenrachen sah, aus dem tausend Blitze ihn anspieen. Auch die Kröte verschwand, und vor ihm stand ein schmächtiges Männlein auf schlanken Ziegenfüssen, mit Hörnen und kralligen Händen. Der Resslauer erschrak und ergriff die Flucht.

Bald sind 100 Jahre seither verflossen. Die Jungfrau wird also nächstens wiederkehren. Wer will hinaufgehen und sie erlösen?

H. Brunner

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